Im Laufe unseres Lebens werden wir immer wieder mit unangenehmen Wahrheiten konfrontiert. Manchmal betreffen diese Wahrheiten unsere Vergangenheit, indem selbstgemachte Illusionen wie Seifenblasen zerplatzen und die harte Wirklichkeit sichtbar wird. Zum anderen beschreiben Worte, die die Zukunft betreffen, eine Zukunft, wie sie uns gar nicht gefällt, weil sie unseren eigenen Planungen entgegenläuft oder weil sie Angst und Unsicherheit weckt.
Unsere Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus. Je nach persönlicher Veranlagung enttäuscht, überrascht, resignierend, kämpferisch, verdrängend, ablehnend oder in einer Mischung unterschiedlichster Empfindungen. Als Jesus seinen Jüngern sein Leiden, Sterben, Töten und Auferstehen mitteilte, löste diese Nachricht auch sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Beim ersten Mal wollte Petrus Jesus belehren, beim dritten Mal versuchten die Jünger durch eine absurde Diskussion über ihren Platz im Himmel von dieser Mitteilung ihres Herrn abzulenken. Nach der zweiten Leidensankündigung schrieb Matthäus, waren sie sehr betrübt. Manche Bibelübersetzungen schreiben, sie waren sehr traurig.
Bei näherer Betrachtung erkennen wir eine ablehnende Betroffenheit der Jünger. Also eine Traurigkeit, die mehr ist als: tja, das tut mir sehr leid für dich. Nämlich ein innerer Widerstand gegen das gehörte, ja sogar eine Ablehnung und Distanzierung. Dasselbe Wort der Betrübnis bzw. Traurigkeit benutzte Matthäus auch in der Geschichte vom reichen Jüngling (Mt. 19,21+22). Als dieser erkannte, dass er auch sein Girokonto der Herrschaft Jesu unterstellen sollte, ging er betrübt davon.
Auch hier wird die ablehnende Betroffenheit des reichen Mannes sichtbar. Seiner Meinung nach gingen die Forderungen Jesu viel zu weit. Ebenso taucht dieses Wort der großen Traurigkeit beim letzten Abendmahl auf, als Jesus sagte: Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten. Und sie wurden sehr betrübt (Mt. 26, 21+22). Sie dachten, dass kann doch nicht wahr sein! Der Gemeinsamkeit dieser Reaktionen ist, dass die Hörer mit Jesus nicht mehr auf einer Linie sind. Sie gehen auf Distanz. Sie stehen quasi auf der anderen Seite.
Dieses Modell der ablehnenden Betroffenheit zieht sich bei den Jüngern noch einige Zeit lang fort: bis Karfreitag, ja sogar bis zum Ostermorgen. Doch dieses Modell der ablehnenden Betroffenheit haftet nicht nur an den Jüngern, sondern an allen bisherigen und aktuellen Jesus-Gläubigen einschließlich uns. Wir alle haben schon mindestens einmal in unserem Leben zu einem Wort von Jesus klipp und klar NEIN gesagt. Und dann geschieht diese ablehnende Jesus-Betroffenheit. Wenn z.B. unsere Erwartungen, die wir in Jesus gesetzt haben, nicht erfüllt werden, obwohl wir der Meinung sind, wir haben doch alles richtig gemacht. Wir haben doch alles gemacht, was Jesus wollte, wir stehen doch auf seiner Seite. Im ersten Moment denken wir, nun hat sich Jesus falsch verhalten. Nicht ich, sondern Jesus steht nun auf der anderen Seite. Ich bin der, der es gut meint, ich habe einen guten Plan, ich setze mich für Jesus ein, ich mach doch alles für ihn. Und jetzt spurt der nicht so, wie ich es mir gedacht habe! Dann entsteht Jesus-Betroffenheit.
Doch wir geben so schnell nicht auf. Wir möchten die Situation retten, indem wir versuchen, die Worte Jesu, (im Falle der Jünger: ich werde leiden, sterben und auferstehen), so nicht zu akzeptieren, sondern unsere eigene Ideen und Wahrheiten als die besseren vor Jesus zu bringen (Mt. 16,22). Denn wir möchten, dass alles, was wir bisher so gedacht haben, wieder ins Lot kommt, wieder stimmig wird. Dann passt es wieder in unsere kleine Welt, in unser begrenztes Denken.
So auch bei den Jüngern damals. Sie wollten mit ihrem Herrn Jesus triumphal in Jerusalem einziehen und ihn mit der gesamten Bevölkerung zum König nach ihrem Sinn und Maßstab krönen. Sie waren am Palmsonntag richtig gut drauf!
Und dann sagte Jesus, er werde leiden, am Kreuz sterben, begraben werden und am dritten Tag auferstehen. Dass er auferstehen würde, haben sie wahrscheinlich schon nicht mehr richtig gehört und wahrgenommen. Sie waren einfach nur ganz tief enttäuscht, traurig und vor allem lehnten sie innerlich den Plan Jesu vollkommen ab. Wahrscheinlich dachten sie, das könne Gott doch sicherlich ganz anders lösen.
So denken wir doch auch. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir uns das gedacht haben. Jesus kennt unser Denken, er weiß, wie unser Innerstes eingestellt ist. Erstaunlicherweise distanziert er sich nicht von seinen Jüngern und von uns. Er lässt seine Nachfolger erstmal an eine Grenze stoßen. Er zeigt auf, dass er den Maßstab setzt, er gibt das System vor, er sagt, wo es lang geht. Jesus entzieht damit uns allen unsere Eigenmächtigkeit. Er lässt sich nicht vor unseren Karren spannen. Das finden wir überhaupt nicht gut, dass wir die kleinen Steuerungsmöglichkeiten, die wir haben, entzogen bekommen. Wir sind nun absolut machtlos. Unsere Überzeugung, dass wir und Jesus ein ganz starkes Team seien, stimmt nicht! Aus Jesu Sicht können wir nichts zum Erfolg einbringen. Als Beispiel dafür steht die Geschichte von der Heilung eines mondsüchtigen Knabens, die Matthäus direkt vor die zweite Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung gesetzt hat. Die Jünger waren im Glauben, dass sie als langjährige Schüler Jesu dieses Kind heilen könnten. Doch dem war nicht so. Die Länge ihrer Ausbildung war nicht relevant. Was die Jünger denken ist falsch, was sie tun klappt nicht, sie verhalten sich absolut unangebracht. Was für ein bescheuerter Zustand! Weil Jesus ihnen ihre Eigenmächtigkeit entzog.
Doch ging es so auch prominenten Persönlichkeiten wie Abraham und auch David. Beide wollten eigenmächtig ihr Heil durch persönliches Eingreifen abkürzend erreichen. Beide fühlten sich zum eigenmächtigen Handeln genötigt, weil sie eine ablehnende Betroffenheit gegenüber Gottes Zeitplan in sich trugen. Doch Gott zeigte ihnen die rote Karte und wies sie zurecht. Er beraubte ihnen ihre Eigenmächtigkeit. Doch warum macht Gott das sogar mit seinen treuesten Nachfolgern?
Weil er uns allen klar machen will, dass wir nichts in die Waagschale legen können, was uns vor Gott in eine bessere Position bringt und dass wir vor einem unglaublichen Geheimnis stehen, dass uns dieser Gott sagt: ich habe dich uneingeschränkt lieb! Ich liebe dich! Ich liebe dich mit deinen Fehlern! Ich liebe dich mit deiner Unvollkommenheit! Ich liebe dich auch wenn du keine Kraft mehr hast! Ich liebe dich, auch wenn du mich nicht verstehst! Ich liebe dich, auch wenn alle Menschen dich verachten! Ich habe dich je und je geliebt!
Der Weg der Wegnahme deiner Eigenmächtigkeit ist der Weg um die Schönheit der Liebe Jesus zu dir zu erkennen.
In der Welt musst du dich einbringen, musst du was sein und haben, damit dich die Welt anerkennt. Bei Jesus brauchst du das nicht. Jesus liebt dich absolut, immer und uneingeschränkt, so wie er dich geschaffen hat. Wenn du das auch nur ansatzweise annehmen kannst, passiert was ganz geniales: du kannst dich entspannen, kannst locker lassen. Denn du weißt, die Liebe von Jesus zu dir ist unabhängig von deiner eigenen Leistung, ist unabhängig von deiner eigenen Einschätzung, unabhängig von deiner Vergangenheit, deiner Gegenwart und deiner Zukunft.
Diesen Prozess der Entledigung aller Eigenmächtigkeiten machten alle Apostel durch. Sie sahen sich danach ganz neu. Mit ganz neuen Augen. Sie erfuhren ein neues und tiefes Glücksgefühl, weil sie völlig unabhängig von ihrem eigenen Zutun, von Jesus Christus geliebt sind. Deshalb konnte Paulus sagen: „darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne“ (2. Kor 12, 9). Mit dem Begriff Schwachheit meinte Paulus die Entledigung seiner Eigenmächtigkeiten durch Jesus. Dies kommt auch in der Aussage von Paulus im 2. Kor 4, 7 zum Ausdruck: „Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“
Als Paulus noch Saulus genannt wurde, war seine Gottesbeziehung sehr leistungsbetont. Durch die Begegnung mit Jesus wurde sein Denken neu ausgerichtet. Nicht als eine Art Gehirnwäsche, wie sie von Menschen praktiziert wird, sondern durch die Liebe von Jesus Christus. Sämtliche Apostel waren nach diesem Prozess der Herzensumwandlung keine gebrochenen, lebensuntüchtige Menschen, sondern ganz im Gegenteil, sie waren eifrige und klar denkende Missionare für das Evangelium. Sie hatten nun alle statt eine ablehnende Jesus-Betroffenheit eine sehr große Jesus- Faszination. Sie erkannten, dass Jesus nicht nur eine weitere große Persönlichkeit in der Religion, der Philosophie und Gesellschaft ist, sondern dass Jesus eine Person ist, in der Liebe pur da ist. Deshalb sind Lobeshymnen wie sie Paulus im 1. Kapitel des Epheserbriefes oder auch im Galaterbrief 2, 20 anstimmte, ein großes Zeugnis der neuen Glückseligkeit eines Menschen. Dieses neue und tiefe Glück ist das Ergebnis des Prozesses von der ablehnenden Jesus-Betroffenheit durch die Reduzierung der Eigenmächtigkeiten hin zur dankbaren, lobpreisenden und ermutigenden Jesus-Beziehung, weil Jesus mit seiner bedingungslosen Liebe nun einen immer größeren Anteil an meiner Persönlichkeit einnimmt.
Und zum großen Glücksgefühl kommt noch eine enormer Vertrauensschub in der Jesusbeziehung, weil der größte Risikofaktor, nämlich ich, minimiert ist. So kann ich dir Jesus nun danken, dass du mit deiner überschwänglichen und bedingungsloser Liebe mich durch diesen sicherlich nicht immer leichten Prozess von der dich schwer verstehenden, ablehnenden Haltung mittels der Entmächtigung meiner Eigenmächtigkeiten zu neuem Glück, Hoffnung und Vertrauen in dein Wort führst.
Markus Belzer
Oberderdingen, April 2021